Helmstedter Schmuckfußboden

Ein Projekt der Freunde des Klosters St. Ludgeri

Bedeutung

Die Fragmente des Helmstedter Schmuckfuß­bodens gehören zu den bemerkenswertesten Zeugnissen der lateinischen „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ und gelehrter Kultur in den sächsischen Benediktinerklöstern. Der farbig inkrus­tierte­ Estrichgips-Fußboden stammt aus dem Mittelschiff der wohl 1059 errichteten und 1133 erneut im Bau befindlichen Klosterkirche des Heiligen Liudger in Helmstedt.

 

Aufgrund seiner materiellen und technischen Beschaffen­heit­ gehört der Helmstedter Schmuckfußboden zu einer Denkmälergruppe, die relativ überschaubar ist. Ähnliche Werke haben in einem­ Zeitraum von ca. 60 bis 70 Jahren (von etwa Mitte­ des 12. Jahrhunderts bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts hinein) im Gebiet der heutigen Bundesländer Niedersachsen (Harzvorland), Sachsen-­Anhalt und Thüringen, aber auch in Polen und der Schweiz Verbreitung gefunden. Der hier wieder­entdeckte Schmuckfußboden gilt als einer­ der thematisch interessantesten, in Resten erhaltenen Vertreter seiner Art.

 

Stilistische und entwicklungsgeschichtliche Indi­zien­ lassen vermuten, dass neben dem 1174-1183 amtierenden Abt Wolfram, Graf von Kirchburg, auch der kunstsinnige Herzog Heinrich der Löwe auf die Erschaffung­ ­­des Helmstedter Schmuckfußbodens maßgeblichen Einfluss genommen haben­ dürfte. Heinrich hatte nach Erbstreitig­keiten wider­rechtlich die Vogtei über das Stift und die Stadt Helmstedt an sich gebracht (1179/1180). Vor diesem Hintergrund könnte er ein großes Interesse­ daran gehabt haben, sich als wohl­wollenden Gönner zu zeigen. 

 

Thema

Der Gipsfußboden stellte die Sieben Weisen des Altertums­ mit Spruchbändern dar: Thales, Kleo­bulos, Chilon, Pittakos, Solon, Bias und Periander. Dieses nicht-kirchliche Thema verwundert angesichts des ursprünglichen Ortes: Der Schmuck­fußboden befand sich im Kirchenmittelschiff unmittelbar­ vor dem erhöhten Chor. Bei den „Sieben­ Weisen“ handelt es sich überwiegend um historische­ Persönlichkeiten des 7./6. vorchristlichen Jahrhunderts. Ihnen wurde schon bald eine Reihe­ von lakonisch knappen, aber prägnanten­ Sinn­sprüchen allgemein moralisch-philosophischer Art in den Mund gelegt.

 

Die Weisen mit ihren Spruchbändern wurden von einem Rahmenwerk mit lateinischen Inschriften­, Ranken­friesen verschiedenen Typs (darunter beson­­ders Palmettenranken) sowie Tierbildern und monströsen Fabelwesen umgeben. Die Tier- und Monsterdarstellungen treten isoliert in den quadratischen Eckfeldern des Rahmen­systems auf. Sie finden sich weiterhin in szenischer Wieder­gabe in den friesartigen Rechteckfeldern. Zu sehen ist das schon in der frühchristlichen Ikonographie bekannte­ Motiv zweier aus einem Kelch trinkender­ Vögel (Wasservogel und Pfau). Daneben die Darstellung eines gehetzten Wildschweins, dem zwei entgegenspringende Wölfe oder Jagdhunde die Flucht abschneiden. Die Fabelwesen in den Eckfeldern konnten dem zeitgenössischen Betrachter­ aus illustrierten Bestiarien  sowie von entsprechenden Darstellungen der damals modernsten Bau-Ornamentik vertraut sein.

Die Sieben Weisen waren am Ende des Weges durch das Kirchenschiff auf dem vor dem erhöhten Chor querliegenden Estrichabschnitt in drei Gruppen gestaffelt. Dabei waren den erhaltenen beiden Dialogpaaren Pittakos/Solon und Bias/Periander die Flügelabschnitte zugewiesen. Im Zentrum des Bodens stand offenbar Thales, umgeben von Kleobulos und Chilon. Letztere bildeten ein Dialogpaar, das sich durch wechselseitiges Schriftbandweisen Rede und Antwort stand.

 

Status Quo

Der zwischenzeitlich verschüttete und überbaute­ Gipsfußboden wurde im 19. Jahrhundert bei Reno­vierungsarbeiten wiederentdeckt. Zum Kir­chen­­brand 1942 lag der Boden – mit Ausnahme des Mittelteils – noch in der Kirche an seinem Ursprungsort­. Der mittlere Bereich ist durch den nachträglichen Einbau eines westlichen Kryptenzugangs (13. Jahrhundert?) zerstört. Die zu zwei größeren, kohärenten Teilen zusammen­gesetzten Fragmente der Flügelabschnitte lagern derzeit restauriert­ in einem Schaukasten in der Kirche. Weitere­ Teile lagern im Braunschweigischen Landesmuseum.

 

Helmstedter Schmuckfußboden
Helmstedter Schmuckfußboden
Im Braunschweigischen Landesmuseum lagern weitere Fragmente des Helmstedter Schmuckfußbodens.
Im Braunschweigischen Landesmuseum lagern weitere Fragmente des Helmstedter Schmuckfußbodens.
Dialogpaare
Dialogpaare

 

 

links

Pittakos: „Wer ist reich?“

Solon: „Der nichts begehrt.“

Solon: „Wer ist arm?“

Pittakos: „Der Geizige.“

 

rechts

Bias: „Welche Mitgift ist für ehrbare Frauen die schönste?“

Periander: „Ein sittsames (keusches) Leben.“ 

Periander: „Welche ist rein (züchtig)?“

Bias: „Von der zu lügen Fama (das Gerücht) sich scheut.“

 

fehlend

Thales: „Was ist des Weisen Aufgabe? Obgleich er es könnte, nicht schaden zu wollen.“

Kleobulos: „Was ist das Kennzeichen des Toren?“

Chilon: „Schaden zu wollen und nicht zu können.“

Chilon: „Was ist für den Menschen das größte Verderben?“

Kleobulos: „Einzig der andere Mensch.“

 


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